In der Zeitmaschine – Geniale Geistergeschichte der Laienspielgruppe
Im Bürgersaal des „Gasthof Zum alten Wirt“ regiert derzeit ein Mann in Schwarz namens Giacomo da Capo, eine Mischung aus „halb Florenz, halb Freising“. Er ist ein „Gleisgeist“ aus der Familie der „Reisegeister“, die alle die Zeit zurückstellen können. Nur die „Fahrradfeen“ haben diese Fähigkeit nicht, lernt das Publikum, in der ländlichen Komödie „Gleisgeisterei“ von Ralph Wallner, mit der die Laienspielgruppe Langenbach derzeit für Aufsehen sorgt. Am Freitag (04.11) war Premiere – voller Irrungen und Wirrungen am Bahnhof von Niederhinterbergkirchentalhausen (Oberbayern). Denn Zeitsprünge in die Vergangenheit, die haben es in sich! Vor allem dann, wenn der „Gleisgeist“ beobachtet wird, wie er die Zeit zurückdreht.
Giacomo da Capo (Emil Harrant) kommt mit dem Geisterzug des Nachts nach Niederhinterbergkirchentalhausen, reguläre Züge fahren dort seit drei Jahren schon nicht mehr. Als erstes trifft er dort auf ein Landstreicherpärchen, auf den Weichen-Wastl (Franz Schild) und dessen Freundin, die Schranken-Susi (Susanne Huber). Beide sind auf den Bahnhof gekommen, weil es dort beim Standl-Hans (Rainer Summer) den besten Brandwein in der ganzen Gegend gibt – wenn der Hans den Kiosk am Morgen öffnet. Die zwei gutmütigen Gestalten sind unbewusst die ersten, die in die Zeitmaschine müssen, der Giacomo hat sich nämlich verplappert und als „Gleisgeist“ vorgestellt. „Porca miseria!“ Das muss ausgewetzt werden. „Dann hoid ois no a moi von vorn. Allora.“ Die Szene wiederholt sich – nur ohne den Geist! „Na oiso, gehd doch“, stellt der lächelnd fest.
Nach ein paar Minuten, wieder in der Jetztzeit, kommt das eher schon reife Radieserl-Reserl (Hilde Stockhorst) auf den Bahnsteig und setzt sich auf die Bank, klagend, dass der Zug schon wieder zu spät komme. Die junge Ursl Summwiesler (Eva Stephan) geht vorbei, um selbstproduzierten Honig ans Bahnhof-Standl zu bringen. Die beiden Frauen kennen sich und die Ursl weiß natürlich, dass das Reserl in einer Fantasiewelt lebt, in der ein Sohn existiert, der Vinzenz, den es vielleicht nicht gibt und dem von seiner Mutter immer neue Berufe zugeschrieben werden. Aber die Ursl ist eine ganz liebe, sie begegnet der älteren Frau mit Empathie – obwohl auch sie den Vornamen Ursl nicht „drauf“ hat, wie übrigens alle anderen Personen, die man auf dem Bahnsteig trifft.
Die Festschrift, die das Landstreicherpärchen findet, leitet über zum Hauptgeschehen, den Ereignissen bei der 600-Jahr-Feier von Niederhinterbergkirchentalhausen vor drei Jahren. Damals ging nämlich dem Standl-Hans seine große Liebe verloren, die schöne Mona (Judith Summer). Sie heiratete den Fritz Flitzmeier (Jakob Zörr), damals schon Bürgermeister von Niederhinterbergkirchentalhausen und von Hans als „Obernasenbohrer“ bewertet – der er auch ist. Den Junggesellen Hans schmusen seitdem die Ursl an, aber auch massiv die Brunhilde Bremsbichler (Michaela Wüst). Sie geizt nicht mit ihren Reizen, wirft sich dem Hans gar an den Hals, küsst ihn, obwohl der nicht abweisender sein kann, als er ist. Sogar nach einem Streich, der mit Hilfe des „Gleisgeistes“ möglich wird, lässt die Bruni nicht von Hans ab. Die Bremsbichlerin bringt zwar Schmalznudln zum Kiosk, Geld will sie dafür aber eigentlich nicht – sie ist reich. Sie hat im Lotto gewonnen, mit einem Los, das sie der Ursl abgeschwatzt hat. Und die fühlt sich betrogen, man hatte im Falle eines Gewinns Teilung vereinbart.
Dramatisch wird es, als der „Gleisgeist“ eine Begegnung von Hans und Mona für drei Minuten „da capo“ stellt, also „alles von vorn“. Denn der Hans hat die Aktion beobachtet und verstanden. Das Vorhaben geht zwar schief, auch wenn der Geist dem Standlbesitzer amouröse Tipps ins Ohr flüstert und mit einer „Luftgeige“ vorspielt. Aber letztlich setzt der Hans seinen Freund Giacomo unter Druck, die Zeit nicht nur für Minuten, sondern für drei Jahre zurückzustellen, in der Hoffnung, dann Mona für sich gewinnen zu können. Dass sich der Zeitsprung auf der ganzen Welt ereignen wird, das ist dem Hans in dieser Situation schlicht „wurscht“. Und der „Gleisgeist“ lässt sich erpressen, weil er halt „ein Romantiker“ ist – wissend, dass er dafür arg bestraft werden wird. Allerdings, der Zeitsprung zurück ist das eine, die Verhältnisse, die damals vor drei Jahren herrschten, das andere. Weil, „wenn ma a Chance hod, an zwoatn Blick auf Dinge zum werfa, dann sigt mas in am vui andan Liachd!“ So viel sei dazu verraten: Für einige der handelnden Personen wird nicht das Wirklichkeit, was sie sich erhofft haben. Aber irgendwie ein Happy End gibt es natürlich schon. Und manches „muaß de Zeid von alloa richtn“, weiß der „Gleisgeist.“
Natürlich wird der Mainstream um das verhinderte Liebespaar Hans und Mona begleitet durch lustige, auch mal amouröse Dialoge, ja sogar nachdenkenswerte Sprüche. Sehens- und hörenswert, wie die Landstreicher miteinander umgehen, traurig, wie der Standl-Hans in Trübsal verfällt, laut und schon auch mal grob wird. Das Radieserl-Reserl tut einem gar Leid in der Sorge um den Sohn. Dass ihre Lebensgeister aber nicht ganz abgestorben sind, das gibt Hoffnung: Das Reserl macht nicht nur dem Giacomo ungeniert Avancen! Auch der Vollpfosten von Bürgermeister, der schönen Mona total verfallen, wird lustig karikiert – wehe der Gemeinde, die so einen Rathauschef hat. Die Ursl ist und bleibt fast immer lieb. Und von der Brunhilde, der angeberischen Reichen, kann man annehmen, dass sie von ihrem hohen Ross wieder heruntergestiegen ist. Warum, das wird nicht verraten. Langenbachs Bürgermeisterin Susanne Hoyer brachte es am Ende der Premiere auf den Punkt: „Chapeau! Das habt Ihr wieder ganz großartig gemacht.“ Die Rathauschefin brachte einen Geschenkkorb zur Wiedererlangung der körperlichen Kräfte der Mimen. Und Gisela Bernbeck, die rührige Vorständin der Laienspielgruppe Langenbach, war froh, dass zumindest die Premiere ohne coronabedingte Ausfälle über die Bühne gehen konnte und die Versorgung des Publikums mit Speis´ und Trank mit eigenen Kräften sehr gut geschafft wurde. Der Wirt hatte Betriebsurlaub.